Mit knapp 100 Mitgliedern sind die Köln 99ers der größte Rollstuhlbasketball-Verein in Deutschland. Inklusion wird im rheinischen Club großgeschrieben – und gelebt. Schon ab dem Kindesalter spielen Fußgänger und Rollstuhlfahrer gemeinsam in einem Team. Wer keinen eigenen Sportrollstuhl hat, kann diesen vom Verein leihen, zumindest solange der Vorrat reicht. Damit schließen die 99er eine Versorgungslücke, denn die Hilfsmittelversorgung für Menschen mit Behinderung, die Sport treiben möchten, ist in Deutschland oft ein Problem.
„Dabei müsste es für Krankenkassen von Interesse sein, dass Menschen in Bewegung sind und sich fit halten“, sagt Sedat Özbicerler, Geschäftsführer und sportlicher Leiter des Rollstuhlbasketball-Clubs. Nicht nur, weil sie dadurch gesünder bleiben, sondern folglich auch weniger Kosten produzieren. Doch nicht selten weigern sich Krankenkassen, den erforderlichen Sportrollstuhl zu bezahlen. Es braucht viel Geduld und einen langen Atem, die Antragsstellung ist mühsam und die bürokratischen Hürden mitunter groß. Eine Teilhabe am Sport scheitert nicht selten weniger am Willen als am fehlenden Hilfsmittel.
Özbicerler, der 2001 als Spielertrainer begann, weiß das aus eigener Erfahrung und setzt sich bei den 99ers seit vielen Jahren dafür ein, dass Menschen mit Interesse am Rollstuhlbasketball Zugang zum Sport erhalten. Zum einen mit den entsprechenden Angeboten, sei es durch Workshops, Talent- und Schnuppertagen oder Schulprojekte, aber auch, indem der Club die notwendigen Hilfsmittel bereitstellt. „Wir versuchen, für Neueinsteiger Sportrollstühle vorrätig zu haben, damit sie direkt ins Training einsteigen können“, betont der 54-Jährige.
Inzwischen sind eine Vielzahl an Sportrollstühle in unterschiedlichen Größen im Vereinsbesitz. Wer einmal Rollstuhlbasketball ausprobiert hat, weiß um die Unterschiede und Vorteile dieser Spezialstühle, die exakt auf die sportlichen Anforderungen abgestimmt sind. Insgesamt sind die „Sport-Rollis“ robuster als die Alltagsstühle. Durch ihre besondere Rahmenkonstruktion, den Rammschutz und die angeschrägten Räder sind sie deutlich leichter und wendiger. Auch die Gefahr des Umkippens ist minimiert. Bei aktuell vier Mannschaften in vier Ligen von der Bundesliga bis zur Landesliga müssen die Sportgeräte bei den 99ers auch einiges aushalten. Mit den „Rolli Rookies“ beheimatet der Verein zudem eine eigene Sparte für Kinder und Jugendliche ab acht Jahren.
„Unser Sport ist inklusiv, das bedeutet, das sich auch Fußgängerinnen und Fußgänger bei uns in den Sportrollstuhl setzen und mitmachen. In unseren Teams spielen Menschen mit und ohne Behinderung, Frauen und Männer aber auch Jung und Alt gemeinsam“, erklärt Özbicerler. Neben dem regulären Trainings- und Spielbetrieb der Mixed-Teams, versucht der Verein auch eine reine Damenmannschaft auf die Räder zu bringen.
Ein Herzensprojekt der 99ers ist „Rollis@School“, dass sich der Nachwuchsförderung widmet und Schüler*innen insbesondere an inklusiven Schulen die Möglichkeit bietet, eigene Erfahrungen mit dem Rollstuhl als Fortbewegungsmittel und Sportgerät zu sammeln. „Kinder und Jugendliche früh den Weg in den Sport zu ermöglichen und den Breitensport zu fördern, ist uns ein ganz besonderes Anliegen. Wir möchten Spaß am Spiel und der Bewegung vermitteln“, betont der Geschäftsführer. „Gerade für inklusive Schulen ist es meist schwierig, ein adäquates Sportangebot für gehandicapte Kinder anzubieten. Umso wichtiger sind solche Projekte, die uns bereits einen großen Zulauf an neuen Mitgliedern in unserer Kindergruppe beschert haben.“
In der Regel nimmt der Verein Kontakt mit Förderschulen oder Inklusiven Schulen auf und besucht mit seinen Trainer*innen und Übungsleiter*innen die Sportstunden. „Unsere Trainer bringen Rollstühle mit und lassen alle Kinder im Rollstuhl mitspielen. Das sind wunderbare Erfahrungen“, schwärmt Özbicerler. „So können auch Kinder Sporttreiben, die vielleicht sonst nur Schiedsrichter oder Punktezähler wären, beim Rollstuhlbasketball aber zu den fittesten gehören.“ Aktuell sind die 99ers an vier Schulen in und um Köln regelmäßig unterwegs und bieten sogar fortlaufende AGs an. Höhepunkt soll ein abschließendes Turnier aller Gruppen vor den Ferien werden.
Für den Verein ist das ein hoher Aufwand, sowohl personell als auch logistisch. Die sportliche Heimat der 99ers ist die Sporthalle am Bergischen Ring in Mülheim. Dort geht auch das Bundesligateam auf Korbjagd. Überdies wird an drei weiteren Standorten trainiert. „Aber nicht überall gibt es ausreichend Lagermöglichkeiten für die Rollstühle. Geschweige denn, dass diese Sportstätten alle barrierefrei sind“, sagt der Geschäftsführer. Wer wann wie viele Rollstühle braucht und im Einsatz hat, muss genau abgestimmt sein. Nicht zu vergessen die Planung des Transports. Bestenfalls verfügen die Schulen über eigene Sportrollstühle und lagern diese in den eigenen Räumlichkeiten. Falls nicht, müssen diese organisiert werden. „Das klappt aber nicht immer. Je nach Tag brauchen wir die Stühle auch im Training“, sagt Özbicerler, der indirekt auf das große Dilemma hinweist.
Obwohl der Verein vergleichsweise gut ausgestattet ist, fehlt es an Sportrollstühlen. Nur die wenigsten Sportler*innen im Verein hätten eigene, was auch an den Kosten und dem mühsamen Weg der Hilfsmittelversorgung für den Sport von Menschen mit Behinderungen in Deutschland liegt. Zwischen 5000 und 8000 Euro kostet je nach Konfiguration ein Sportrollstuhl. Wer kann, finanziert sich diesen privat. Ansonsten gibt es die Möglichkeit, sich vom Arzt ein Hilfsmittel verschreiben zu lassen und einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse zu stellen. Während für Erwachsene in diesem Moment ein mühsamer und langwieriger Weg beginnt, hätten Kinder und Jugendliche meist gute Chancen auf einen positiven Bescheid. „Sport ist ein wichtiger Motor, insbesondere für junge Menschen, denen die Teilhabe am Freizeit- und Schulsport ermöglicht werden soll“, betont Özbicerler, der vorrechnet, dass aktuell nur wenige Kinder im Verein einen eigenen Sportrollstuhl hätten und teilweise lange dafür kämpfen mussten. „Ich selbst habe hartnäckig für meinen neuen Alltagsrollstuhl ein Jahr lang gekämpft. Den alten hatte ich fast 15 Jahre lang, normalerweise hat man nach fünf Jahren Anspruch auf einen neuen. Schade, wenn man dann noch streiten muss.“
Und dennoch: Es lohne sich, den bisher noch sehr bürokratischen Aufwand in Kauf zu nehmen, um durch das Hilfsmittel mehr Lebensqualität zu erlangen. „Ich würde mir wünschen, dass die Kassen ihren Blick für den Gesundheitsaspekt weiten.“
Unterstützung durch Sponsoren und Stiftungen
Der Verein wird bei der Anschaffung der Sportrollstühle von Sponsoren und Stiftungen oder auch durch die Stadt Köln unterstützt. Alle paar Jahre muss ein Stuhl ausgetauscht werden. Die Lebensdauer der Hilfsmittel hängt vom Einsatz und der Qualität ab. In der Einsteigerliga oder bei Schuleinsätzen mit nur einmal wöchentlichem Training hält ein Stuhl meist etwas länger, bei intensiverer Nutzung und Spielweise muss vielleicht schon nach kurzer Zeit ein Ersatz her. Der Aufwand und Einsatz seien aber jede Mühe wert. „Die Kinder freuen sich, wenn wir als Verein an die Schule kommen“, sagt Sedat Özbicerler. „Und wir freuen uns, einige von ihnen später in unseren Teams spielen zu sehen.“
Foto: Mika Volkmann / DBS