Wenn Lennart Sass an die Paralympics in Paris denkt, gerät er ins Schwärmen. „Die Paralympics sind das Größte, was die Wettkämpfe zu bieten haben. Ich empfinde eine Riesen-Demut vor dieser Herausforderung“, sagt der 24-Jährige und fügt an: „Mit meiner Qualifikation habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt. Ich bin definitiv hochmotiviert.“ Fest steht: Lennart Sass will mehr als nur eine Teilnehmerurkunde.
Am 6. September wird der gebürtige Rendsburger beim Para Judo in der Startklasse J1 bis 73 Kilogramm auf der Matte in der Champ-de-Mars-Arena stehen und um Medaillen kämpfen. „Es kommt auf diesen einen Tag an, auf den ich zusammen mit meinem Team hingearbeitet habe. Eine Teilnehmerurkunde will niemand der Athleten. Edelmetall ist nicht nur ein Traum, sondern auch ein realistisches Ziel“, sagt der blinde Judoka selbstbewusst.
Dass der Athlet vom Rendsburger TSV optimistisch nach Frankreich reisen wird, kommt nicht von ungefähr. In der Weltrangliste für seine Gewichtsklasse liegt er auf Rang zwei und hat in den Qualifikationsturnieren für die Paralympischen Spiele überzeugt. „Alle meine Qualifikations-Kämpfe habe ich mit einer Medaille gekrönt, Paris soll daher keine Ausnahme werden.“
Von Kindesbeinen an auf der Judo-Matte, vor acht Jahren der Schock
Judo begleitet Lennart Sass fast sein ganzes Leben. „Ich stand schon als Fünfjähriger auf der Matte.“ Damals war es noch eher ein Ringen als Judo. Als Kind wird er Judo-Landesmeister, später versucht er sich im Handball. Bis 2016. Bei Lennart Sass wird die Erbkrankheit Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) diagnostiziert – eine selten auftretende, erblich bedingte Netzhauterkrankung, die dazu führt, dass er in kürzester Zeit erblindet. „Ein Aufgeben kam für mich nie infrage. Ich habe ein Kämpferherz und habe schnell in den Wettkampfmodus geschaltet. Ich wollte mir den Sport nicht nehmen lassen.“
Lennart Sass entdeckt seine Leidenschaft für Judo wieder, trainiert beim Rendsburger TSV mit Sehenden. Es ist der Startschuss für einen kometenhaften Aufstieg. Seit Mitte 2022 trainiert er im Kreise der Para Judo-Nationalmannschaft, kämpft sich Stück für Stück in die Weltspitze. Inzwischen ist er Vize-Weltmeister, WM-Dritter und zweifacher Vize-Europameister. Die Entscheidung, als Judoka wieder auf der Matte zu stehen, scheint goldrichtig gewesen zu sein. Jetzt will der Paralympics-Debütant in Paris hoch hinaus.
Dafür trainiert Sass, der inzwischen in Heidelberg wohnt, hart. Täglich steht Mattentraining auf dem Plan, mehrfach in der Woche spult er ein Kraft-Ausdauer-Programm ab. All der Schweiß, die Anstrengung für diesen einen Tag, für den 6. September. „Das Adrenalin steigt täglich. Ich verspüre Vorfreude, habe Vertrauen in meine Entwicklung.“
Den Weltranglisten-Ersten bereits bezwungen
Die Vorbereitung lief für den 24-Jährigen aus sportlicher Sicht gut. Höhepunkt war der Sieg beim Grand Prix in Heidelberg im Februar dieses Jahres. Quasi im Wohnzimmer. Im Finale bezwang er erstmals den Rumänen Florin Alexandru Bologa. Dieser ist Weltranglisten-Erster, Europameister und zweifacher Bronzemedaillen-Gewinner bei den Paralympics, damals noch mit einer Klassen-Einteilung nur nach Gewicht und nicht zusätzlich nach der Seheinschränkung. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis er fällig war. In Paris wird er der Gejagte sein und ich bin ihm dicht auf den Fersen.“
Beim letzten für die Paralympics wichtigen Aufeinandertreffen im Mai – dem Grand Prix in der georgischen Hauptstadt Tiflis – musste sich Lennart Sass dem Rumänen im Finale knapp beugen. „Der Hunger für die Revanche ist definitiv da“, sagt der 24-Jährige. Und setzt alles auf diesen einen Tag. Den 6. September in Paris.
Neben Lennart Sass gehen im Para Judo folgende Athletinnen und Athleten bei den Paralympics an den Start: Tabea Müller (J1, -48 Kilogramm), Isabell Thal (J2, -48 Kilogramm), Ramona Brussig (J2, -57 Kilogramm), Nikolai Kornhaß (J2, -73 Kilogramm) und Daniel-Rafael Goral (J2, -90 Kilogramm).
Text: Jonas Bargmann / DBS